In Österreich werden jährlich fast eine halbe Million zivilrechtliche Streitigkeiten vor Gericht ausgetragen. Viele davon sind unlösbar scheinende Nachbarschaftskonflikte. Prozesse zehren an den Nerven und kosten jede Menge Geld. Eine gute Vermittlung kann helfen. Im Gespräch mit Mag.a Anna Unterholzer vom Mediationsinstitut Graz.
Wie läuft ein Mediationsverfahren ab?
UNTERHOLZER: Mediation ist ein sehr strukturiertes Verfahren, in dem die Gespräche von einer neutralen dritten Person geleitet werden. Zunächst schildern die Beteiligten den Konflikt aus ihrer Sicht, dann werden die Themen bearbeitet. Bei jedem Thema wird geklärt, welche Interessen und Bedürfnisse damit verbunden sind. Ist allen Beteiligten klar, worum es wirklich geht, werden Lösungen erarbeitet, die so weit als möglich die Interessen und Bedürfnissen aller Beteiligten abdecken. Ein Mediationsverfahren ist immer zukunftsorientiert und endet mit einer von allen Parteien erarbeiteten Lösung, die ein künftiges Miteinander gewährleisten soll.
VERSCHLECHTERTe KOMMUNIKATION
Wann ist der beste Zeitpunkt?
Wenn allen bewusst wird, dass die Kommunikation sich nachhaltig verschlechtert und man beginnt, sich immer wieder über dieselben Personen und wiederkehrende Themen zu ärgern. Die Kommunikation ist nicht nur dann verschlechtert, wenn offen gestritten wird, sondern auch, wenn gar nicht mehr miteinander geredet wird.
CORONA – EINE ZUSÄTZLICHE VARIANTE
Hat Corona Konflikte geschürt oder verstärkt?
Auf jeden Fall verstärkt. Gerade in Nachbarschaftskonflikten ist diese Verstärkung wahrnehmbar. Da zum Beispiel für viele Homeoffice-Tage beibehalten wurden, ist der Kontakt mit Nachbarn häufiger geworden und das Ruhebedürfnis größer. Unter dem Motto „Ich arbeite – stören Sie mich nicht dabei!“ kommt es nun zu einer zusätzlichen Variante des Nachbarschaftskonflikts.
WIE STREITE ICH RICHTIG?
„Streiten“ ist ja nicht unbedingt wünschenswert – aber wenn schon Streit, wie streite ich richtig?
Richtig streiten hat vor allem mit der richtigen Kommunikation zu tun. Wünsche sollten in Ich-Botschaften gepackt und nicht als Forderung oder Anklage formuliert werden. Kontraproduktiv ist es aber, auch gar nicht mehr zu reden. Je früher etwas wertschätzend angesprochen wird, desto eher kommt es nicht zu einer Eskalation.
Auf jeden Fall macht es außerdem Sinn, die Themen in einem ersten Schritt direkt zu klären und nicht gleich schriftlich.
Können vom Streit auch positive Aspekte abgeleitet werden?
Auf jeden Fall! Viele Veränderungen oder Weiterentwicklungen werden erst durch einen Streit angestoßen. Auch für das seelische Wohlbefinden kann es Sinn machen, Dinge auszusprechen, die dann zu einem Streit führen, statt alles runterzuschlucken. In der Regel müssen Dinge angesprochen werden, damit sie sich verändern.
DAS THEMA „LÄRM“ DOMINIERT
Was sind die häufigsten Anlässe für eine Mediation?
In Nachbarschaftskonflikten eindeutig das Thema „Lärm“. Dauerbrenner sind auch Wegerechte, Mülltrennung, Parkplätze, Sauberkeit und Kosten für die Allgemeinheit.
„SCHNEIDEN SIE GEFÄLLIGST DIE ÄSTE AB!“
Woran liegt es, dass – überhängende Äste eines Baumes werden ja nicht der einzige Grund dafür sein – gerade Nachbarschaftsstreitigkeiten oft so ausarten?
Ein Konflikt hat immer zwei Ebenen – eine Sach- und eine Beziehungsebene. Die Beziehungsebene wird oft schon bei der ersten Kommunikation über ein Thema gestört. „Schneiden Sie gefälligst die Äste ab, die machen nur Dreck auf unserem Grund!“ provoziert als Einstieg in das Thema schon Widerstand. Wenn dann noch die Drohung hinzukommt, bei Nichterfüllung einen Anwalt einzuschalten, ist der Konflikt ganz schnell eskaliert.
Welche Strategien werden angewendet, wenn ein Konflikt schon einen höheren Eskalationsgrad erreicht hat?
Bei einem höheren Eskalationsgrad ist der Start mit Einzelgesprächen sinnvoll, um den Ärger loszuwerden und eine Verhandlungsbereitschaft zu erzeugen.
„Sinnlos, mit dem zu reden“, werden Sie sicher schon vernommen haben. Hat hier Mediation überhauptnoch eine Chance?
Auf jeden Fall! Diese Aussage bezieht sich ja auf die Kommunikation zwischen den Nachbarn, ohne dass ein neutraler Dritter die Kommunikation in sinnvolle Bahnen lenkt.
„GEMEINSAM ENTWICKELTE LÖSUNGEN“
Kann Mediation Gerichtsverfahren ersetzen?
Eine Mediation kann ein Gerichtsverfahren vermeiden. Wenn es aber den Beteiligten darum geht, die Schuldfrage zu klären, geht das nur über das Gericht. Für die Klärung rechtlicher Aspekte werden auch während des Mediationsverfahrens Anwälte oder Notare hinzugezogen. In der Mediation selbst geht es um gemeinsam entwickelte Lösungen, die das Zusammenleben wieder möglich machen.